Stillen von Frühgeborenen
Nach einer Frühgeburt kann das Trinken von Muttermilch an der Brust aus verschiedenen Gründen erschwert sein.
Insbesondere bei Frühgeborene < 32 Schwangerschaftswoche wird das Stillen noch nicht funktionieren, da sie oft zu schwach sind und Probleme mit der Koordination von Schlucken, Trinken und Atmen haben.
Das Anlegen an die Brust der Mutter ist dennoch auch schon für ganz kleine Frühgeborene wichtig: Kind und Mutter spüren die gegenseitige Wärme und können ihre emotionale Beziehung zueinander aufbauen. Zudem unterstützt das nicht-nutritive Saugen an der Brust auch die Milchproduktion der Mutter.
Frauenmilch von etablierten Frauenmilchbank
Die Milch der eigenen Mutter sollte die Nahrung der ersten Wahl sein. Gespendete Frauenmilch einer etablierten Milchbank ist die nächstbeste Option.
Die Bedeutung und Anzahl an Frauenmilchbanken in Deutschland wächst stetig.
Anreicherung von Muttermilch
Ungeachtet der vielen Vorteile, die Mutter- beziehungsweise Frauenmilch für Frühgeborene hat, liefert sie jedoch nicht ausreichend Energie und Nährstoffe, um den deutlich höheren Bedarf Frühgeborener im Vergleich zu Reifgeborenen zu decken.
Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1.800 Gramm sollten mit angereicherter Frauenmilch ernährt werden12. Erfahren Sie mehr über das Aptamil Frauenmilchsupplement.
Fortifizierungsmethoden
Zur Anreicherung von Frauenmilch für Frühgeborene in der Klinik gibt es verschiedene Fortifizierungsmethoden, die aktuell Anwendung finden. Dabei wird zunächst zwischen der Standard-Fortifizierung und der individuellen Fortifizierung unterschieden. Bei der individuellen Fortifizierung gibt es die Möglichkeit der adjustierten Fortifizierung und der gezielten Fortifizierung.
Die Standard-Fortifizierung ist die am häufigsten angewandte Methode. Hierbei werden 100 ml Frauenmilch mit einer bestimmten, festgesetzten Menge Multi-Nährstoff-Supplement angereichert, um die empfohlene Nährstoffzufuhr zu erreichen. Diese festgesetzte Menge wird vom Hersteller entsprechend kalkuliert und setzt einen bestimmten Makronährstoffgehalt der Muttermilch voraus. Dabei werden intra- und interindividuelle sowie zeitliche Variationen verschiedener Muttermilchen nicht berücksichtigt. Der Vorteil dieser Fortifizierungsmethode ist, dass sie sehr einfach und praktisch in der Anwendung ist.
Es gibt zwei Möglichkeiten der individuellen Fortifizierung. Bei der adjustierten Fortifizierung wird die Proteinzufuhr auf Basis der Stoffwechselreaktion der Frühgeborenen angepasst. Dabei wird mit einer anfänglichen Standard-Fortifizierung begonnen und im weiteren Verlauf auf Basis des Blut-Harnstoff-Stickstoffs (BUN) die adäquate Proteinzufuhr angepasst. Liegt der BUN unter 5,7 mmol/l, wird zur Standard-Fortifizierung zusätzlich Protein supplementiert. Liegt das BUN-Level über 5,7 mmol/l, wird die Proteinmenge reduziert. Auch diese Fortifizierungsmethode ist praktisch und nicht laborintensiv. Sie überwacht die genaue Proteinzufuhr jedes Frühgeborenen und bietet Sicherheit vor einer zu hohen Zufuhr.
Die zweite Möglichkeit individueller Fortifizierung ist die gezielte Fortifizierung. Hierbei wird die Makronährstoffzusammensetzung der Frauenmilch mittels eines speziellen Frauenmilch-Analyse-Gerätes analysiert. So kann auf Basis der Analyseergebnisse genau die Menge an Eiweiss und/oder Fett supplementiert werden, die das Frühgeborene auf Basis der Empfehlungen braucht. Nach dieser Methode können alle Makronährstoffe supplementiert werden. Sie ist allerdings recht laborintensiv und erfordert ein entsprechendes Analysegerät. Die Supplementierung erfolgt zudem entsprechend der empfohlenen Zufuhrmengen und berücksichtigt nicht, dass der Bedarf eines jeden Frühgeborenen unterschiedlich sein kann14.
Spezielle Frühgeborenennahrungen
Für Frühgeborene, die nicht oder nicht ausschliesslich mit Muttermilch ernährt werden, stehen spezielle Frühgeborenennahrungen zur Verfügung. Frühgeborenennahrungen haben im Vergleich zu Säuglingsnahrungen für Reifgeborene einen höheren Energie- und Nährstoffgehalt.
Es stehen Frühgeborenennahrungen für Frühgeborene < 1.800 Gramm und für Frühgeborene ab 1.800 Gramm Körpergewicht zur Verfügung.
Zusätzliche Proteingabe
Bei langsamem Wachstum (unterhalb der Perzentile) kann die Proteinzufuhr durch ein zusätzliches Anreichern mit einem Proteinsupplement, wie Aptamil Eiweiss+ erhöht werden.
Ernährung über Sonden
Können Frühgeborene die Nahrung nicht eigenständig beziehungsweise ausreichend zu sich zu nehmen, kann eine transnasale Ernährungssonde die orale Nahrungszufuhr unterstützen oder gänzlich ersetzen. Erfahren Sie mehr über transnasale Sonden für Frühgeborene.
Ernährung von Frühgeborenen nach Klinikentlassung
Zwei Positionspapiere von ESPGHAN18 und ÖGKJ19 beschäftigen sich mit der Ernährung von Frühgeborenen nach Klinikentlassung.
Für Frühgeborene, die bei Klinikentlassung ein adäquates Wachstum zeigen (über 10. Perzentile), empfiehlt die ESPGHAN die Ernährung mit nicht angereicherter Muttermilch, oder mit einer Säuglingsanfangsnahrung, die LCPs enthält.
Frühgeborene, die ein Entlassungsgewicht unter der 10. Perzentile haben und dementsprechend kein adäquates Wachstum aufweisen, sollen weiterhin angereicherte Muttermilch oder eine spezielle, nährstoffangereicherte Entlassungsnahrung (Post Discharge Formula, kurz: PDF) mindestens bis zum errechneten Geburtstermin, möglicherweise aber auch darüber hinaus bis zum Alter von 52 Wochen bekommen 18.
Die ÖGKJ empfiehlt für alle Frühgeborenen bei Klinikentlassung angereicherte Muttermilch beziehungsweise Entlassungsnahrung für Frühgeborene mit einem Entlassungsgewicht über der 10. Perzentile bis zum errechneten Geburtstermin, für Frühgeborene unter der 10. Perzentile oder mit Perzentilenverlusten von 2 Perzentilen bis zum Alter von 52 Wochen. Dabei wird eine Anreicherung von 50 % der Mahlzeiten als akzeptabel erachtet. Zudem wird eine Supplementierung mit Eisen und Vitaminen im ersten Lebensjahr (6 bis 12 Monate) empfohlen.
Die Supplementierung der Muttermilch wird häufig um den Zeitpunkt der Entlassung herum abgebrochen und führt zu einer suboptimalen Ernährung und als Folge davon zu Wachstumsverzögerungen14.
Um das Stillen nicht zu beeinträchtigen und gleichzeitig nicht auf ein Muttermilchsupplement verzichten zu müssen, macht die ÖGKJ in ihrem Positionspapier auf ein von Laktationsberater:innen empfohlenes, aber nicht evidenzbasiertes Vorgehen aufmerksam. Danach wird das Muttermilchsupplement auf die ungefähre Trinkmenge pro Mahlzeit angepasst, in maximal 5 ml abgekochtem warmem oder angewärmtem sterilem Wasser aufgelöst und vor der Mahlzeit per Fingerfeeder, Schoppen oder Spritze verfüttert. Anschliessend kann das Kind dann von der Mutter ad libitum gestillt werden.
Um die Notwendigkeit der Anreicherung von Muttermilch auch über die Klinikentlassung hinaus für zu Hause verständlich zu machen, bedarf es einer konsequenten und verständlichen Aufklärung von Seiten der Klinik gegenüber den Eltern sowie klarer und eindeutiger Empfehlungen, um die praktische Umsetzung zu gewährleisten.